Am Anfang steht der Status quo. Iris Hartmann schaut ganz genau hin. Und sie meint damit nicht den Standort der Tischtennisplatte für die Pausen oder die Bank zum Sonnen draußen im Hof. „Ich analysiere den Ist-Zustand der Art der Zusammenarbeit, Kommunikation und Führung mit Hilfe eines Online-Tools. Ganz konkret werden darin Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber befragt. Die Auswertung einer solchen Umfrage zeigt mir dann sehr schnell, wie es um die Unternehmenskultur bestellt ist.“ In einem nächsten Schritt geht es dann in das persönliche Gespräch mit den Führungskräften. „Zentrale Frage in diesen Gesprächen ist: Wie möchten Sie Ihre Unternehmenskultur leben? Wie kann diese nachhaltig auf-
gestellt sein? Und was möchten sie ändern.“
Immer seltener muss Iris Hartmann dabei ein Grundverständnis für Unternehmenskultur wecken. Denn die Macher von heute haben längst die Wichtigkeit erkannt. „Unternehmenskultur ist da, wo der Mitarbeiter sich mit seinem Arbeitgeber identifiziert und zufrieden ist mit dem, was er tut. Er ist dadurch automatisch
engagierter und leistungsfähiger, bringt auch eigene Ideen mit ein. Und er fühlt sich emotional gebunden an seinen Arbeitgeber, was ihn zusätzlich an das Unternehmen bindet und einen Wechsel zu einem Konkurrenten unwahrscheinlicher macht.“ Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel ist dies ein ganz wichtiger Aspekt. „Jeder gute Mitarbeiter, der das Unternehmen verlässt, hinterlässt in der Regel eine Lücke, die mit hohem Aufwand wieder geschlossen werden muss. Und dann kommt heute noch die Frage dazu: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten, mit neuen Technologien und Innovationen umgehen? Wieviel New Work und Agilität passt zu unseren Werten und der gewünschten Kultur?“
Doch wie zeigt sich eine unstimmige Unternehmenskultur? „Ich erlebe es häufiger, dass sich Unternehmen zunächst mit ganz anderen Anliegen an mich wenden. Ich höre dann zum Beispiel: Wir müssen was im Vertrieb machen! Das Team funktioniert nicht. Da herrscht Silodenken und jeder arbeitet nur für sich. Was dieses Problem mit der
Kultur zu tun hat, erschließt sich den Unternehmen meist nicht sofort. Aber genau an der Stelle hilft es, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, über eine Veränderung in der Organisationsstruktur und andere Methoden nachzudenken, mehr Transparenz zu schaffen und alle Mitarbeiter mitzunehmen. Ein ganz wichtiger Aspekt ist in
diesem Zusammenhang auch, wie Führungskräfte untereinander und auch mit ihren Mitarbeitern umgehen.“
Und das gilt nicht nur für große, sondern auch schon für kleine Unternehmen. „Jedes Unternehmen hat eine Kultur. Das Spannende ist, sie müssen sich nicht einmal selbst darum kümmern, die entsteht automatisch. Sie können lediglich beeinflussen, ob sie der Vision dient oder nicht. In kleinen Unternehmen ist es ein bisschen einfacher, Visionen zu haben und Werte vorzuleben. Man teilt automatisch sehr viel miteinander. Je größer ein Unternehmen jedoch ist, umso größer ist die Herausforderung. Die alltägliche Kommunikation wird schwieriger über mehrere Ebenen. Manche Themen und Führungskräfte entwickeln eine Eigendynamik.“
An der Stelle schaut Iris Hartmann dann ganz genau hin, macht sich auf die Suche nach den verborgenen, ungeschriebenen Regeln und sucht nach dem bisher nur hinter vorgehaltener Hand Ausgesprochenem. „Ich vergleiche das immer gerne mit der Silent Disco am Deutschen Eck in Koblenz. Kennen Sie die? Da spielen mehrere DJ’s unterschiedliche Musikrichtungen, die die Besucher über einen Kopfhörer auswählen, um Ihre Lieblingssongs zu hören und dazu zu tanzen. So sehe ich als Außenstehende auch die Unternehmenskultur. Ich sehe viele Menschen tanzen und erforsche, zu welcher Musik sie das tun. Deshalb stelle ich Fragen und lasse mir Prozesse erklären. Ganz oft höre ich dann Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Das haben wir nie hinterfragt“. Unternehmenskultur spüre ich zudem schon beim Betreten eines Foyers. Wie ist es gestaltet? Wie verhält sich der Mensch an der Anmeldung? Ist er mir freundlich zugewandt oder vergräbt er sich hinter dem Computer-Bildschirm? Sie entwickeln ein Gespür für die kleinen Signale.“
Die großen Signale gibt es dann bei der Analyse. Ist diese abgeschlossen, folgen für Iris Hartmann die nächsten Schritte: „Nach der Analyse und den persönlichen Gesprächen kann ich einordnen, wie der Umgang ist. Ich kann einschätzen, wo die Probleme liegen. Ein Beispiel: Dort, wo früher viele Geheimnisse gemacht wurden, hilft eine neue Transparenz in den
Abläufen und der Kommunikation dabei, die Mitarbeiter
wieder emotional abzuholen. Sie fühlen sich eingebunden und bringen sich auch selbst mit neuen Ideen ein. Wenn alle
spüren, dass sie wichtig sind für das Unternehmen, ist das schon sehr viel wert.“
Der Aufbau einer erfolgreichen Unternehmenskultur ist jedoch keine Sache für ein Wochen-
end-Seminar: „Kultur ist nicht mal eben so integrierbar“, unterstreicht Iris Hartmann. „Es ist ein Prozess, der auch Zeit und Geduld braucht. Und der auch im Unternehmen in den unterschiedlichen Phasen völlig anders aufgenommen wird. Ich erinnere mich an ein Unternehmen, in dem mir mein Ansprechpartner, ein Controller, nach dem dritten Workshop sagte: Es hat sich nichts getan in den vergangenen Monaten. Wir müssen noch einmal von vorne anfangen. Die 18 Teamleiter des gleichen Unternehmens konnten jedoch jeder für sich von Erfolgserlebnissen berichten. Dort hatte sich plötzlich der Umgang mit den Mitarbeitern positiv verändert, es gab mehr Vertrauen, mehr Feedback. Als ich das dem Controller berichtete, hatte er große Augen und fragte mich, ob wir über das gleiche Unternehmen sprechen. Er hatte die Veränderung in der Kultur noch nicht so gespürt und wahrgenommen wie die anderen.“ Das zeigt: Es gibt keinen Zeitplan, nach dem Unternehmenskultur funktioniert.
Wie wichtig Unternehmenskultur heute ist – und dass Kultur weit mehr ist als ein „nice to have“ – macht Iris Hartmann an einer Metapher fest: „Seit Jahrtausenden ist das
Gemeinschaftsgefühl überlebenswichtig für die Menschheit. Eine Gruppe gibt uns Orientierung und Halt. Das haben schon die frühen Völker vorgelebt. Die haben gemeinsam am Lagerfeuer gesessen und geklärt, wer welche Aufgabe übernimmt. Ich finde, dieses Bild, am Lagerfeuer sitzend und gemeinsam etwas zu tun, zeigt sehr schön, wie Unternehmenskultur funktioniert. Dieses gegenseitige Verständnis für alle Beteiligten ist für mich der Schlüssel zum Erfolg.“