Vertrieb ist Chefsache!

Ein Beitrag von Prof. Dr. Ove Jensen. 

Vertrieb ist wie Sport. Wer ihn vernachlässigt, merkt eine Zeit lang nichts. Doch dann geht es steil bergab. Daher sollte er zur täglichen Routine jedes Unternehmers gehören.

So vielfältig die mittelständische Wirtschaft in unserem Mittelrheinland auch ist – von den Bau- und Werkstoffherstellern in Eifel und Westerwald, über IT-Lösungsanbieter wie die CompuGroup Medical und Marketing-Dienstleister wie Münzhartmann bis zu den Gründern im Technologiezentrum Koblenz oder an der WHU in Vallendar, ein Satz gilt: An der Dynamik der Neu-kundenakquise zeigt sich die Vitalität des Unternehmens und des Unternehmers. Die Unternehmerlegende Reinhold Würth formulierte einmal: „Ein Unternehmen, das nicht mit zehn Prozent wächst, ist krank.“ Was Vertriebs-Fitness ausmacht, will ich anhand von fünf Leitfragen diskutieren: WER? An WEN? WANN? WAS? WIE? Mein Fokus liegt auf dem Business- to-Business.

WER verkauft?
Vertriebsführung ist Chefsache!

In mittelständischen Unternehmen erlebe ich unterschiedliche Verhältnisse von Unternehmer und Vertrieb:
  1. „Der Chef führt den Vertrieb. Vertriebsführung ist Chefsache.“
  2. „Der Chef ist der Vertrieb. Vertrieb ist allein Sache des Chefs.“
  3. „Der Vertrieb führt den Chef. Der Vertrieb sagt dem Chef, was Sache ist.“
Nr. 1) ist der Idealzustand. Auf Hochleistung läuft der Vertrieb dort, wo der Chef jede Woche für 30 Minuten mit jedem Regionalverkaufsleiter die nächsten Schritte bei den wichtigsten Ver- kaufschancen durchgeht. Der Status ALLER Verkaufschancen sollte in einer Gesamtliste vorliegen, damit stets transparent ist, ob die Verkaufschancen-Pipeline ausreicht, um das Umsatzziel zu erreichen. Lassen Sie nicht zu, dass Verkäufer Verkaufschancen im „U-Boot-Modus“ vorantreiben und diese kurz vor dem Abschluss aus dem Hut zaubern. Die disziplinierte Pflege der CRM-Daten erreichen viele Unternehmen, indem sie nur die Verkaufschancen, die im CRM-System stehen, provisionieren und bonifizieren.

Konstellation 2) ist der Normalzustand in kleineren Unternehmen. Hier ist es wichtig, dass der Chef eine Mindeststundenzahl auf Neukundenakquise verwendet. Wie bei sportlicher Bewegung sind 30 Minuten pro Tag das Minimum. Eine Stunde pro Tag ist besser. Die Abarbeitung der Aufträge von heute darf nicht die Akquise der Aufträge von morgen ersticken. Zeitliche Entlastung für den Chef bringen Telefonverkäufer, die eingehende Anfragen vorqualifizieren, sowie Kundenerfolgs-Manager, die Bestandskunden ab der Umsetzungsphase übernehmen.

Situation 3) ist ungesund. Ich habe oft erlebt, dass ein selbstbewusster Vertriebsleiter dem Unternehmer seinen Willen diktiert. Meine Empfehlung: Machen Sie sich nicht zu abhängig! Auf zwei Funktionen sollte ein Unternehmer immer die Hand haben: den Finanzen und dem Vertrieb. In der Gründergeneration ist der Verkauf weniger ein Problem als in der Nachfolgergeneration. Ein Nachfolger, der mit dem Vertrieb fremdelt, hat oft „keinen Plan“, was die Bausteine von Verkaufen und Führung sind. Hier hilft Weiterbildung. Zum Verkäufer und Vertriebsleiter muss man nicht geboren sein. Vertrieb kann man lernen. Mit dem Durchblick kommt dann auch der Spaß am Vertrieb.
Foto: Kai Müller, zeigt Prof. Dr. Ove Jensen im Gespräch mit Ralf Lawaczek, Geschäftsführer der IHK Koblenz

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich schlage nicht vor, dass der Chef den Vertrieb allein macht, sondern dass er die Vertriebsführung nicht zu sehr delegiert. Im Mittelstand sind die Verkaufsmannschaften übrigens eher zu klein als zu groß. Es gibt eine Daumenregel, nach der Sie überlegen können, ob Sie einen zusätzlichen Verkäufer einstellen: Trägt der Verkäufer über seine eigenen Kosten hinaus zu Gemeinkostendeckung und Betriebsgewinn bei? Wenn der jährliche Zusatzumsatz, den ein neuer Verkäufer nachhaltig erzeugt, eine mindestens dreimal so hohe Bruttomarge bringt wie der neue Verkäufer als jährliche Gehalts- und Nebenkosten hat, dann sollte man den zusätzlichen Verkäufer einstellen. Sparen Sie sich im Vertrieb nicht zu Tode! Wenn Ihre Bruttomarge heute zehnmal so groß ist wie Ihre Vertriebskosten, sollten Sie sich ernsthaft fragen, ob Ihr Vertrieb unterdimensioniert ist und ob Sie derzeit Wachstums-chancen liegen lassen. Wer die Fixkosten von Verkäufern scheut oder im derzeitigen Arbeitsmarkt keine guten Leute findet, sollte über die Nutzung von Arbeitnehmerüberlassung („Vertriebsleiharbeit“) und Handelsvertretern nachdenken.

 

An WEN verkaufen wir? Nicht am Einkauf hängen!

Definieren Sie mit Datenbanken wie Amadeus eine Liste von Ziel-Kunden, deren Profil zu Ihrem Unternehmen passt. Netzwerke wie Xing (für kleine, deutsche Kunden) und LinkedIn (für Führungskräfte internationaler Unternehmen) sind unverzichtbare Hilfsmittel bei Kontaktaufbau und -pflege. Ohne Draht zur Geschäftsführung und Technik des Kunden lassen sich Premium-Preise nicht durchsetzen. Mit Google Alerts und LinkedIn Lead Builder bleiben Sie auf dem Laufenden, was Ihre Zielpersonen publizieren, wer wen kennt und wer den Job wechselt. Die Antwortwahrscheinlichkeit auf Xing- und LinkedIn-Nachrichten ist hoch.

Wer als Verkäufer nur am Einkauf hängt, wird preislich an die Wand gedrückt. Vorsicht: 5 % Preisnachlass vernichten bei 25 % Marge bereits 20 % des Gewinns! Jeder Verkäufer kennt den Einkäufer-Spruch: „Machen Sie mal ein Angebot – ich melde mich.“ Wenn wir keinen Kontakt in der Kundenorganisation haben, der uns Insider-Hinweise gibt, und wenn die technische Spezifikation vom Kunden schon feststeht, dann dienen wir wahrscheinlich nur als Vergleichsangebot, mit dem der Einkäufer seinen Favoriten im Preis drücken will. Lehnen Sie solche Preisanfragen dankend ab. Verweisen Sie auf ausgebuchte Kapazitäten, anstatt zu viel Zeit zu investieren.

5 % Preisnachlass vernichten bei 25 % Marge bereits 20 % des Gewinns!

Wenn Ihr Vertrieb mit Angeboten überlastet ist und Ihre Erfolgsquote gleichzeitig gering ist, sind Sie vermutlich nicht selektiv genug. Erstellen Sie eine Checkliste zur Chancen- und Risikobewertung, die Ihnen beim Filtern hilft. Einige Beispielfragen: Hat der Kunde Handlungsdruck? Kennen wir den Wettbewerber? Sprechen wir mit dem Budget-Geber oder dem Budget-Nehmer? Haben wir die Unterstützung der Nutzer? Wissen wir, wer wann nach welchen Kriterien über den Auftrag entscheidet

WANN verkaufen wir? Den „Klick-Moment“ selbst erzeugen!

Erfolgreiche Verkäufer sind proaktiv, nicht reaktiv. Sie investieren mehr ins Verkaufen als ins Angebote-Schreiben. Der beste Weg, um eine Ausschreibung zu gewinnen, ist, an deren Formulierung mitzuwirken. Das war früher einfacher als heute. Denn früher war der Kunde auf den Anbieter angewiesen, um sich technisch zu orientieren. Heute ermöglicht ihm das Internet, seine Vorstellung und Spezifikation alleine voranzutreiben. Ein großer Teil des Einkaufsprozesses ist schon vorbei, wenn der Kunde zum ersten Mal einen Anbieter kontaktiert (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1

Mehr denn je gilt, dass derjenige Anbieter einen Vorteil hat, der mit klugen Fragen den Umdenk-Prozess beim Kunden erst auslöst. Dies ist der Kern von dem, was man strategieberatendes Verkaufen („Consultative Selling“ oder griffiger „Challenger Selling“) nennt. Mit der Geschäftsführung des Kunden eine Zukunftsvision zu entwickeln und einen „Klick“ beim Kunden auszulösen, schaffen nur wenige Außendienstverkäufer. Hier ist im Mittelstand der Chef gefragt. Die Aufgabe des Außendienstes ist es, der Kunden-Geschäftsführung die Idee eines Workshops mit dem Chef (oder anderen Spezialisten) zu verkaufen. Einige Unternehmen setzen ihren Verkäufern sogar Ziele dafür, wie viele Geschäftsführungs-Workshops sie anbahnen.

WAS verkaufen wir? Produktivität, nicht Qualität!

Strategieberatendes Verkaufen will beim Kunden nicht nur einer unter vielen C-Lieferanten sein, die über den Preis konkurrieren, sondern ein „wert-geschätzter“ Prozesspartner und Impulsgeber. Dies erfordert, dem Einkäufer gebetsmühlenartig zwei Perspektivenwechsel entgegenzusetzen:

„Lasst uns nicht über das Produkt sprechen, sondern den gesamten Prozess.“
„Lasst uns nicht über den Preis sprechen, sondern die Gesamtkosten und Zusatzerlöse.“
Abbildung 2

Qualitätsanbieter liegen beim reinen Produktpreis meist über dem Wettbewerb. Berücksichtigt man aber den gesamten Prozess mit z.B. Rüst-, Arbeits-, Verschleiß-, Dokumentations-, Haftungs-, Lagerhaltungs-, Energie- und Stillstandskosten, sind die Gesamtkosten (Total Cost of Operation) aus Kundensicht niedriger (Abbildung 2). Daher ist es wichtig, nicht nur eine technische Vorteilsargumentation gegenüber der Technik aufzubauen, sondern auch eine finanzielle Vorteilsargumentation gegenüber dem Einkauf. Ein Verkaufsleiter brachte dies auf die griffige Formel: „Wir verkaufen nicht nur Qualität, sondern Produktivität.“ Hier kommt es wieder zum Kompetenzen-Engpass: Während viele Verkäufer eine technische Produktdemonstration sattelfest hinbekommen, sind sie in der Vorführung von finanziellen Excel-Rechnungen unsicher. Um den Vertrieb zu unterstützen, schaffen große Unternehmen Spezialisten für finanzielle Mehrwertargumentation. SAP zum Beispiel nennt diese Spezialisten „Value Engineers“. In kleineren Unternehmen ist der Chef gefordert, die technische und finanzielle Zweigleisigkeit der Verkaufsargumentation voranzutreiben. Angesichts des Aufwands, den sie im Controlling betreiben, um die eigenen Kosten zu ermitteln, ist es ernüchternd, wie wenig Mühe sich die meisten Unternehmen geben, um die Kunden-Kosten und den Return-on-Investment (ROI) zu verstehen, den der Kunde mit ihren Lösungen hat.

Der finanzielle Vorteil ist nicht das Einzige, was der Kunde „kaufen“ muss. Das „Ja“ zum finanziellen ROI ist im B2B nur einer von mindestens fünf Verkäufen:

  1. Verkaufe Deine Kompetenz!

  2. Verkaufe den Willen zur Veränderung!

  3. Verkaufe Dein Alleinstellungsmerkmal!

  4. Verkaufe den finanziellen Return-on-Investment!

  5. Verkaufe den nächsten Schritt!

WIE verkaufen wir? Outbound und Inbound kombinieren!

Vergleiche ich die Vertriebsphilosophie der etablierten Mittelständler unserer Region und der digitalen Mittelständler in Berlin & Co., fallen mir viele Unterschiede auf. Zum Beispiel:

  • die Wachstumsambition,
  • der Fokus auf Skalierbarkeit und Automatisierung der Vertriebsstruktur,
  • der Fokus auf Akquisitionskosten und Kundenprofitabilität,
  • der Fokus auf die digitalen Suchprozesse der Kunden und Selbstbedienungslösungen.

Start-ups haben eine Grundskepsis gegenüber dem Außendienst-Kanal. Sie setzen auf Telefonvertrieb, webbasierte Produktvorführungen sowie digitale Lead-Erzeugung. Abbildung 3 skizziert einen typischen Vertriebsprozess sowie die Rollen-Differenzierung im Telefonverkauf:

  • Outbound-Verkauf erzeugt Leads durch eigene Recherche und Kontaktaufnahme. Bildlich gesprochen, entspricht dies dem Fischen mit einer Harpune.
  • Inbound-Verkauf fängt digital suchende Kunden als Leads ein. Bildlich gesprochen, entspricht dies dem Fischen mit einem Netz.

In der traditionellen Outbound-Akquise ist die Erfolgsquote bei „cold calls“ oft gering. Inbound-Akquise hat den Vorteil, dass die Kunden bereits interessiert („warm“) sind. Die Rollenaufteilung im Telefonvertrieb ermöglicht den teuersten Verkäufern (Account Executive), sich auf die Abschlussphase zu konzentrieren, während Vor-Qualifizierung und Service weniger teuren Mitarbeitern obliegen. Die staffellaufartige Rollenverteilung ist nur möglich, wenn das Unternehmen ein CRM-System nutzt. Schon Start-ups unter 50 Mitarbeitern nutzen daher professionelle Software wie salesforce.com. Der Mittelstand hat gerade im Inbound-Vertrieb erheblichen Nachholbedarf – mit Ausnahmen natürlich: Zum Beispiel ist das hiesige Unternehmen Beyer Miet-service im Inbound-Vertrieb sehr strukturiert unterwegs.
Abbildung 3
Das Beste, was einem mittelständischen Unternehmer passieren kann, ist, dass sich die Nachfolgegeneration in das Thema Digitalvertrieb hineinkniet und diesen ohne den Einsatz teurer Berater voranbringt. Das Mindeste, was die Elterngeneration tun sollte, ist die intensive Nutzung von Xing und LinkedIn. Die digitale Trägheit vieler Mittelständler im Vergleich zu Großunternehmen und Start-ups bereitet mir Sorge. Bedenken Sie, wie stark sich die digitalen Kanäle in nur 10 Jahren entwickelt haben. Jeder, der in 10 Jahren noch fit im Vertrieb sein will, sollte zügig mit dem Digital-Training beginnen!

Wissens-Plattformen für Vertrieb

Die WHU organisiert für die Region Mittelrheinland diverse Möglichkeiten des Austausches über Vertrieb. IHK Koblenz und WHU veranstalten Unternehmernachmittage in der Reihe Forum Mittelstand. Der WHU-Campus for Sales (www.campus-for-sales.org) bietet Managementkonferenzen und einen Youtube-Kanal. Die WHU Executive Education (www.ee.whu.edu) bietet offene und unternehmensinterne Seminare.
Foto: Kai Müller, zeigt Prof. Dr. Ove Jensen
Zum Autor

Prof. Dr. Ove Jensen, 46 Jahre, ist Inhaber des WHU-Lehrstuhls für Vertriebsmanagement und einer der führenden Vertriebsexperten Deutschlands. In Deutschland gibt es über 200 Marketinglehrstühle, doch weniger als zehn, die sich voll dem Vertrieb widmen. Jensen war hier Pionier. Er kooperiert eng mit der Unternehmenspraxis, um branchenübergreifend die besten Ideen und Werkzeuge für Vertrieb zusammenzutragen.

Kontakt: ove.jensen@whu.edu

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